Stille Heldinnen – Stille Helden
ORTE DER HELFENDEN

1933-1945

Niedersachsen und Bremen

Bund: Gemeinschaft für sozialistisches Leben

Aktiv an folgenden Orten:

Mitglieder des Bundes retteten Jüdinnen und Juden

Über die vereinzelten und spontanen Solidaritätsbekundungen und Rettungsaktionen zu Beginn der NS-Diktatur hinaus entwickelten sich mit der Zeit organisierte Netzwerke, die Verfolgten dabei halfen, ins Ausland zu fliehen oder dauerhaft in Deutschland unterzutauchen. Meist konnte diese Art der Hilfe nicht im Alleingang erfolgen, sondern bedurfte der Mithilfe mehrerer Personen.

Man musste einen bzw. mehrere Transportmittel oder wechselnde Verstecke für die Untergetauchten finden, Dokumente fälschen, Lebensmittelkarten und Kleidung organisieren. Obwohl das Risiko der Denunziation dadurch größer wurde, wirkten viele Helferinnen und Helfer gemeinsam und bildeten Helfernetzwerke. Vielfach wurden dabei bestehende Strukturen genutzt, so auch im Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben. Die Organisation wurde 1924 in Essen von Personen gegründet, die den Reformbewegungen dieser Zeit nahestanden. Die Mitglieder wollten ein naturnahes Leben führen und ein Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele herstellen. Gleichzeitig strebten sie eine gerechtere Gesellschaft an. Die idealistische, leicht esoterische Gruppe versammelte sich häufig, um gemeinsam zu musizieren, zu turnen, zu tanzen, zu wandern und zu diskutieren. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 beschloß der Bund, Hilfe für verfolgte Jüdinnen und Juden zu organisieren. Ausschlaggebend dafür war sicher neben den humanistischen Wertvorstellungen auch die Tatsache, dass Gründungsmitglieder des Bundes selbst jüdisch waren und in Gefahr schwebten.

Die Organisation agierte zunächst vor allem im Ruhrgebiet und weitete ihren Radius allmählich aus, wobei eine der Geretteten, Marianne Strauß, bei Mitgliedern in Niedersachsen unterkam und so überleben konnte. Ihre Geschichte bzw. die Geschichte ihrer Retterinnen wird hier erzählt.

Man musste einen bzw. mehrere Transportmittel oder wechselnde Verstecke für die Untergetauchten finden, Dokumente fälschen, Lebensmittelkarten und Kleidung organisieren. Obwohl das Risiko der Denunziation dadurch größer wurde, wirkten viele Helferinnen und Helfer gemeinsam und bildeten Helfernetzwerke. Vielfach wurden dabei bestehende Strukturen genutzt, so auch im Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben. Die Organisation wurde 1924 in Essen von Personen gegründet, die den Reformbewegungen dieser Zeit nahestanden. Die Mitglieder wollten ein naturnahes Leben führen und ein Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele herstellen. Gleichzeitig strebten sie eine gerechtere Gesellschaft an. Die idealistische, leicht esoterische Gruppe versammelte sich häufig, um gemeinsam zu musizieren, zu turnen, zu tanzen, zu wandern und zu diskutieren. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 beschloß der Bund, Hilfe für verfolgte Jüdinnen und Juden zu organisieren. Ausschlaggebend dafür war sicher neben den humanistischen Wertvorstellungen auch die Tatsache, dass Gründungsmitglieder des Bundes selbst jüdisch waren und in Gefahr schwebten.

Die Organisation agierte zunächst vor allem im Ruhrgebiet und weitete ihren Radius allmählich aus, wobei eine der Geretteten, Marianne Strauß, bei Mitgliedern in Niedersachsen unterkam und so überleben konnte. Ihre Geschichte bzw. die Geschichte ihrer Retterinnen wird hier erzählt.

Marianne Strauß, die vom Bund versteckt wurde, auf dem Foto ihrer Postausweiskarte, die sie nicht als Jüdin auswies und somit lebensrettend war.

Flucht in letzter Sekunde

Es war der 31. August 1943, ein Montagmorgen um 10 Uhr, als die jüdische Familie Strauß in ihrem Haus in der Ladenspelderstraße 47 in Essen von der Gestapo aufgesucht wurde. Man forderte sie auf, sich an die Sammelstelle zu begeben, von der aus sie deportiert werden sollten. Sie durften nur wenige Habseligkeiten mitnehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie bereits alles für eine Ausreise nach Schweden vorbereitet, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

An diesem Morgen folgte Marianne einem klaren Impuls – sie ergriff im letzten Moment die Flucht. In einem Bruchteil von Sekunden wurde ihr bewusst, dass es die wohl letzte Chance sei, der Deportation zu entgehen, nun musste es schnell gehen. Ihr Vater schaffte es noch, ihr ein wenig Geld zuzustecken. In den Berichten der Gestapo wird ein Abschiedsbrief von Marianne mit folgendem Inhalt erwähnt:

Flucht in letzter Sekunde

Es war der 31. August 1943, ein Montagmorgen um 10 Uhr, als die jüdische Familie Strauß in ihrem Haus in der Ladenspelderstraße 47 in Essen von der Gestapo aufgesucht wurde. Man forderte sie auf, sich an die Sammelstelle zu begeben, von der aus sie deportiert werden sollten. Sie durften nur wenige Habseligkeiten mitnehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie bereits alles für eine Ausreise nach Schweden vorbereitet, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

An diesem Morgen folgte Marianne einem klaren Impuls – sie ergriff im letzten Moment die Flucht. In einem Bruchteil von Sekunden wurde ihr bewusst, dass es die wohl letzte Chance sei, der Deportation zu entgehen, nun musste es schnell gehen. Ihr Vater schaffte es noch, ihr ein wenig Geld zuzustecken. In den Berichten der Gestapo wird ein Abschiedsbrief von Marianne mit folgendem Inhalt erwähnt:

»Ich gehe nicht mit, ich nehme mir das Leben. Gott behüte Euch. Marianne.«

Fingierter Abschiedsbrief der Jüdin Marianne Strauß

Dore-Jacobs-Schule, Leveringstraße 30, Essen-Stadtwald, Foto aus dem Jahr 2016
CC-BY-SA 4.0

Doch dieser Brief war nur ein Versuch, die Gestapo auf eine falsche Spur zu führen – in Wirklichkeit führte Mariannes Weg direkt ins „Blockhaus“, dem Zentrum vom Bund. Gemeinschaft für sozialistischen Leben, wo sie aufgenommen und geschützt wurde.

 

Der Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben

Der Bund.Gemeinschaft für sozialistisches Leben entstand 1924 in Essen um den Philosophen, Mathematiker und Pädagogen Artur Jacobs. Der leidenschaftliche Reformpädagoge engagierte sich aktiv bei der Entwicklung der Volkshochschulen, die sich in dieser Zeit vermehrt als Orte der gesellschaftlichen und politischen Bildung von Erwachsenen gründeten.

Man beabsichtigte, eine sozialistische Lebensgemeinschaft zu etablieren, in der die individuelle Persönlichkeit eines jeden Mitglieds in seiner Ganzheit – „Körper, Geist und Seele“ – gestärkt und gefördert werden sollte. Weder soziale Herkunft noch der Bildungshintergrund sollten eine Rolle spielen, mehr noch, man beabsichtigte, gesellschaftliche Schranken zu durchbrechen. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Bekämpfung des Rassismus standen im Fokus des gemeinsamen Wirkens. Um diese Ziele zu ermöglichen, wurde auch die Besinnung auf den Körper gefördert: Tanz und Bewegung wurden zu zentralen Elementen innerhalb des Bundes. Die Frau von Artur Jacobs, Dore, hatte als Bewegungslehrerin für Körperarbeit eine wichtige Position im Bund. Sie gründete 1925 die „Dore-Jacobs-Schule für Rhythmus und Bewegung“. Als Jüdin gehört auch sie selbst zu denjenigen, die ab 1933 verfolgt wurden und untertauchen mussten.

Im sogenannten „inneren Kreis“, der den Kern der Gruppe bildete, hatten sich zu Beginn 9 bis 10 Mitglieder durch einen feierlichen Eid verpflichtet, den Zielen des Bundes und ihrer Verwirklichung zu dienen, wozu auch die Verpflichtung gehörte, dem Alkohol zu entsagen und konfessionslos (= keiner Glaubensrichtung zugehörig) zu leben. Das Interesse am Bund reichte über den Gründungsort Essen und das Ruhrgebiet hinaus und verteilte sich nach und nach mit 120 bis 200 Mitgliedern und verschiedenen Ortgruppen über mehrere Regionen innerhalb Deutschlands. Es bildete sich damit ein Netz, das nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einem Hilfsnetz für Verfolgte werden sollte.

 

 

Doch dieser Brief war nur ein Versuch, die Gestapo auf eine falsche Spur zu führen – in Wirklichkeit führte Mariannes Weg direkt ins „Blockhaus“, dem Zentrum vom Bund. Gemeinschaft für sozialistischen Leben, wo sie aufgenommen und geschützt wurde.

 

Der Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben

Der Bund.Gemeinschaft für sozialistisches Leben entstand 1924 in Essen um den Philosophen, Mathematiker und Pädagogen Artur Jacobs. Der leidenschaftliche Reformpädagoge engagierte sich aktiv bei der Entwicklung der Volkshochschulen, die sich in dieser Zeit vermehrt als Orte der gesellschaftlichen und politischen Bildung von Erwachsenen gründeten.

Man beabsichtigte, eine sozialistische Lebensgemeinschaft zu etablieren, in der die individuelle Persönlichkeit eines jeden Mitglieds in seiner Ganzheit – „Körper, Geist und Seele“ – gestärkt und gefördert werden sollte. Weder soziale Herkunft noch der Bildungshintergrund sollten eine Rolle spielen, mehr noch, man beabsichtigte, gesellschaftliche Schranken zu durchbrechen. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Bekämpfung des Rassismus standen im Fokus des gemeinsamen Wirkens. Um diese Ziele zu ermöglichen, wurde auch die Besinnung auf den Körper gefördert: Tanz und Bewegung wurden zu zentralen Elementen innerhalb des Bundes. Die Frau von Artur Jacobs, Dore, hatte als Bewegungslehrerin für Körperarbeit eine wichtige Position im Bund. Sie gründete 1925 die „Dore-Jacobs-Schule für Rhythmus und Bewegung“. Als Jüdin gehört auch sie selbst zu denjenigen, die ab 1933 verfolgt wurden und untertauchen mussten.

Im sogenannten „inneren Kreis“, der den Kern der Gruppe bildete, hatten sich zu Beginn 9 bis 10 Mitglieder durch einen feierlichen Eid verpflichtet, den Zielen des Bundes und ihrer Verwirklichung zu dienen, wozu auch die Verpflichtung gehörte, dem Alkohol zu entsagen und konfessionslos (= keiner Glaubensrichtung zugehörig) zu leben. Das Interesse am Bund reichte über den Gründungsort Essen und das Ruhrgebiet hinaus und verteilte sich nach und nach mit 120 bis 200 Mitgliedern und verschiedenen Ortgruppen über mehrere Regionen innerhalb Deutschlands. Es bildete sich damit ein Netz, das nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einem Hilfsnetz für Verfolgte werden sollte.

 

 

Das Ehepaar Dore und Artur Jacobs, das den Kern des Bundes bildete, als junges Paar.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet der Bund, wie auch andere linksorientierte Gruppierungen dieser Zeit, ins Visier der Gestapo. Trotz dieser schwierigen Umstände setzten die Mitglieder ihre Treffen heimlich weiter fort. Man war vorsichtig, übte sich in „Tarnung und Täuschung“, um weiterhin bestehen zu können. Die Mitglieder beobachteten schon früh die politischen Entwicklungen und erkannten die Gefahren der Ausgrenzung und Verfolgung. Sie „analysierten“ intern die nationalsozialistische Ideologie. Immer mehr Mitglieder engagierten sich für Verfolgte.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet der Bund, wie auch andere linksorientierte Gruppierungen dieser Zeit, ins Visier der Gestapo. Trotz dieser schwierigen Umstände setzten die Mitglieder ihre Treffen heimlich weiter fort. Man war vorsichtig, übte sich in „Tarnung und Täuschung“, um weiterhin bestehen zu können. Die Mitglieder beobachteten schon früh die politischen Entwicklungen und erkannten die Gefahren der Ausgrenzung und Verfolgung. Sie „analysierten“ intern die nationalsozialistische Ideologie. Immer mehr Mitglieder engagierten sich für Verfolgte.

»Aus der Reserve heraustreten. Die Isolation der Juden durchbrechen.«

Grundsatz des Bundes nach der Pogromnacht.

Doch wie genau sah ihre Hilfe aus?

Unter Artur Jacobs Leitsatz „Aus seiner Reserve heraustreten. Die Isolation der Juden durchbrechen!“ fanden die engagierten Bundmitglieder im Laufe der Zeit vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung: Sie reichten von kleinen solidarischen Gesten bis hin zur Unterstützung von untergetauchten Jüdinnen und Juden. Vor allem nach den Novemberpogromen 1938 intensiviert sich ihre Hilfe. Der Bund besuchte „Judenhäuser“, spendete Trost, schickte zahlreiche Hilfspakete an nach Polen deportierte Jüdinnen und Juden. Wie soll man diese Hilfsaktionen bewerten? Diejenigen, die so unterstützt wurden, wurden dadurch nicht gerettet. Aber es gibt viele Zeugnisse dafür, dass für sie der soziale Kontakt und die Freundlichkeit am wichtigsten waren. So schrieb die ins besetzte Polen deportierte Jüdin Trude Brandt an Lisa Jacob, dass der Briefaustausch mit ihr wichtiger als die materiellen Güter sei.

[…] ja, es ist lebenserhaltend. So wirken Wärme und Lebensnähe mir wesensverwandter Menschen auf mich wie Blutübertragung bei zu starkem Blutverlust – lebensrettend. Das ist kein Vergleich, kein Wort nur, es ist innerste Wahrheit. Fühlt Ihr da, was Ihr mir gebt, wir Ihr mir helft mit der einzigen Hilfe, die mir nützt, die mit nottut?“

Mitglieder des Bundes suchten Menschen gezielt zuhause auf und boten ihnen ihre Unterstützung an. Man versorgte Verfolgte mit Lebensmitteln, teilte dabei die eigenen Rationen oder erledigte Besorgungen für Kranke und alte Menschen. Der Bund leistete seelischen Beistand und unterstützte Verfolgte dabei, zu emigrieren. Gleichzeitig bereiteten sich die Helferinnen und Helfer auf den Ernstfall vor: Artur Jacobs veranstaltete Treffen, bei denen mit Rollenspielen für den Fall ihrer Verhaftung geprobt wurde, wie sich die Mitglieder verhalten sollten. Denunziationen und Verhaftungen kamen von Zeit zu Zeit vor, doch gelang es stets, Schlimmeres abzuwenden.

 

Marianne Strauß hatte Glück, denn sie war unter den schätzungsweise acht Personen, die der Bund dabei unterstützen konnte, unterzutauchen. Marianne wurde nicht nur geholfen, sondern sie wurde auch selbst als Helferin aktiv, indem sie Pakete zur Verschickung an Deportierte packte und sonst auch half, wo sie konnte.

Bei Beginn der nationalsozialistischen Diktatur war Marianne zehn Jahre alt und erlebte immer mehr Ausgrenzung und Antisemitismus. Im Oktober 1941 entging die Familie der ersten Deportationswelle nur knapp, weil der Vater, ein Getreide- und Rinderfuttermittelfabrikant, Kontakt zum Nachrichtendienst der Wehrmacht hat. Die Familie wog sich einige Zeit in einer trügerischen Sicherheit, die 1943 abrupt endete. Wie bis hierher geschildert, gelang es Marianne, ihren Verfolgern zu entkommen und Zuflucht im Blockhaus des Bundes zu finden.

Ein erster Kontakt zum Bund hatte sich schon 1933 ergeben, nachdem sie wie auch andere jüdische Mädchen, aus ihrer Tanzschule ausgeschlossen wurde. Ihre Eltern meldeten sie daraufhin für einen Tanzkurs in Dore Jacobs Bewegungsschule an. Ab 1941 ergab sich schließlich auch Kontakt zu weiteren Bundmitgliedern. Marianne wurde in einem jüdischen Pflegeheim eingesetzt und begegnete dort Artur Jacobs, der vom Bund gespendete Lebensmittel ins Heim brachte. Er bot Marianne an, ihn über die Zustände und Entwicklungen in der jüdischen Gemeinde zu informieren, da er ein „Dossier über die nationalsozialistische Politik“ zusammenstellen wolle. Artur Jacobs legte Marianne nahe, sich an ihn und den Bund zu wenden, sollte sie Hilfe brauchen.

Doch wie genau sah ihre Hilfe aus?

Unter Artur Jacobs Leitsatz „Aus seiner Reserve heraustreten. Die Isolation der Juden durchbrechen!“ fanden die engagierten Bundmitglieder im Laufe der Zeit vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung: Sie reichten von kleinen solidarischen Gesten bis hin zur Unterstützung von untergetauchten Jüdinnen und Juden. Vor allem nach den Novemberpogromen 1938 intensiviert sich ihre Hilfe. Der Bund besuchte „Judenhäuser“, spendete Trost, schickte zahlreiche Hilfspakete an nach Polen deportierte Jüdinnen und Juden. Wie soll man diese Hilfsaktionen bewerten? Diejenigen, die so unterstützt wurden, wurden dadurch nicht gerettet. Aber es gibt viele Zeugnisse dafür, dass für sie der soziale Kontakt und die Freundlichkeit am wichtigsten waren. So schrieb die ins besetzte Polen deportierte Jüdin Trude Brandt an Lisa Jacob, dass der Briefaustausch mit ihr wichtiger als die materiellen Güter sei.

[…] ja, es ist lebenserhaltend. So wirken Wärme und Lebensnähe mir wesensverwandter Menschen auf mich wie Blutübertragung bei zu starkem Blutverlust – lebensrettend. Das ist kein Vergleich, kein Wort nur, es ist innerste Wahrheit. Fühlt Ihr da, was Ihr mir gebt, wir Ihr mir helft mit der einzigen Hilfe, die mir nützt, die mit nottut?“

Mitglieder des Bundes suchten Menschen gezielt zuhause auf und boten ihnen ihre Unterstützung an. Man versorgte Verfolgte mit Lebensmitteln, teilte dabei die eigenen Rationen oder erledigte Besorgungen für Kranke und alte Menschen. Der Bund leistete seelischen Beistand und unterstützte Verfolgte dabei, zu emigrieren. Gleichzeitig bereiteten sich die Helferinnen und Helfer auf den Ernstfall vor: Artur Jacobs veranstaltete Treffen, bei denen mit Rollenspielen für den Fall ihrer Verhaftung geprobt wurde, wie sich die Mitglieder verhalten sollten. Denunziationen und Verhaftungen kamen von Zeit zu Zeit vor, doch gelang es stets, Schlimmeres abzuwenden.

 

Marianne Strauß hatte Glück, denn sie war unter den schätzungsweise acht Personen, die der Bund dabei unterstützen konnte, unterzutauchen. Marianne wurde nicht nur geholfen, sondern sie wurde auch selbst als Helferin aktiv, indem sie Pakete zur Verschickung an Deportierte packte und sonst auch half, wo sie konnte.

Bei Beginn der nationalsozialistischen Diktatur war Marianne zehn Jahre alt und erlebte immer mehr Ausgrenzung und Antisemitismus. Im Oktober 1941 entging die Familie der ersten Deportationswelle nur knapp, weil der Vater, ein Getreide- und Rinderfuttermittelfabrikant, Kontakt zum Nachrichtendienst der Wehrmacht hat. Die Familie wog sich einige Zeit in einer trügerischen Sicherheit, die 1943 abrupt endete. Wie bis hierher geschildert, gelang es Marianne, ihren Verfolgern zu entkommen und Zuflucht im Blockhaus des Bundes zu finden.

Ein erster Kontakt zum Bund hatte sich schon 1933 ergeben, nachdem sie wie auch andere jüdische Mädchen, aus ihrer Tanzschule ausgeschlossen wurde. Ihre Eltern meldeten sie daraufhin für einen Tanzkurs in Dore Jacobs Bewegungsschule an. Ab 1941 ergab sich schließlich auch Kontakt zu weiteren Bundmitgliedern. Marianne wurde in einem jüdischen Pflegeheim eingesetzt und begegnete dort Artur Jacobs, der vom Bund gespendete Lebensmittel ins Heim brachte. Er bot Marianne an, ihn über die Zustände und Entwicklungen in der jüdischen Gemeinde zu informieren, da er ein „Dossier über die nationalsozialistische Politik“ zusammenstellen wolle. Artur Jacobs legte Marianne nahe, sich an ihn und den Bund zu wenden, sollte sie Hilfe brauchen.

»In einem solchen Falle, sagte er, solle ich direkt zu Sonja Schreiber ins Blockhaus gehen, denn bei ihm und seiner Frau Dore im Dönhof wär ich gleichfalls gefährdet: durch seine politische Vergangenheit, und Dore Jacobs war selbst Jüdin.«

Erlebnisbericht von Marianne Strauß-Ellenbogen für "Righteous among the Nations", Yad Vashem, Jerusalem, File 3112, S. 46

Der Kontakt zwischen Marianne, Artur und seiner Frau Dorle wurde intensiver und schließlich wurde auch Marianne selbst im Bund aktiv. Die ständige Gefährdung und Lebensgefahr waren für die Verfolgten zermürbend, doch entwickelte Marianne ihre eigenen Strategien:

„Ich bin eine Kämpferin, sonst wäre ich jetzt nicht hier. […] Für mich war das wichtigste, daß ich auf jeden Fall die Nazis überlisten mußte. Daß ich meinen Verstand und meinen Willen gegen ihre Dummheit und ihren Amtskram einsetzen konnte.“

Stationen der Hilfe ab 1943

Mit Karin Morgenstern in Braunschweig sowie Hedwig Gerke und Meta Steinmann in Göttingen breitete sich das Hilfenetz des Bundes für Marianne im Herbst 1943 auf weitere Städte aus. In Essen zu bleiben, erschien aufgrund der zunehmenden Bombardierungen zu gefährlich. In Braunschweig und Göttingen nahmen die Bund-Mitglieder Marianne im Wechsel auf, um zu vermeiden, dass sie sich zu lange an einem Ort aufhielt. Auch in Düsseldorf, Remscheid, Wuppertal und Mühlheim konnte sie untergebracht werden. Häufiger Ortswechsel sollte die junge Frau, die ohne Papiere unterwegs war, vor der Enttarnung schützen.

 

Bei Karin Morgenstern in Braunschweig

Eine der ersten Stationen der Hilfe außerhalb ihrer Heimatstadt Essen war Braunschweig. In der folgenden Zeit kam Marianne zunächst bei Karin Morgenstern und ihrem Mann Karlos unter. Über das Leben von Karin Morgenstern ist nur wenig bekannt. Marianne erinnerte sich in einem Gespräch mit dem Historiker Mark Roseman, dass die beiden Ehepartner sehr unterschiedlich gewesen seien. Während Karlos aus dem Arbeitermilieu stammte, gehörte seine Frau Karin der „Oberschicht“ an – „sie paßten so wenig zusammen, und doch war es gut und funktionierte“. Beide waren Kommunisten, was sie wiederum vereinte.

Die Morgensterns leben am Stadtrand in einem Haus mit einem eigenen kleinen Garten: „Ihr kleiner Garten und die ländliche Umgebung ernährten uns, und wir gaben uns gegenseitig Hilfe und Stütze“, erinnerte sich Marianne. Die Bedingungen schienen nicht besser sein zu können, um Marianne unterzubringen, denn hier konnte sie sich relativ frei bewegen und sogar etwas arbeiten: Da sie in Handarbeiten begabt war, fertigte sie kleine Filzblumen an, die sie an einen Modeladen verkaufen konnte.

„Im Laufe der Zeit fand ich ein kleines Modegeschäft in Braunschweig, dessen Besitzerin meine Hauptabnehmerin wurde, da sie meine Arbeit hauptsächlich mit den mir so lebensnotwendigen Marken [Lebensmittelmarken] bezahlte. – Ich hatte immer den Verdacht, dass sie meine Lage halb erriet und helfen wollte.“

Auch verfügte Marianne noch über das Geld von ihrem Vater. So konnte sie sich, allerdings unter hohem Risiko, entdeckt zu werden, teilweise auch selbst versorgen.

 

Sommer und Herbst 1943 in Göttingen bei Hedwig Gerke und Meta Steinmann

Im Sommer und Herbst 1943 konnte Marianne bei Hedwig Gerke und Meta Steinmann unterkommen. Auch hier musste sie sich nicht permanent in einem Versteck aufhalten, sondern bewegte sich frei und lebte mit den Familien zusammen. Aufmerksames Planen war jedoch unerlässlich. Der Neugier und Irritation der Nachbarn begegnete man mit Ausreden.

 

Der Kontakt zwischen Marianne, Artur und seiner Frau Dorle wurde intensiver und schließlich wurde auch Marianne selbst im Bund aktiv. Die ständige Gefährdung und Lebensgefahr waren für die Verfolgten zermürbend, doch entwickelte Marianne ihre eigenen Strategien:

„Ich bin eine Kämpferin, sonst wäre ich jetzt nicht hier. […] Für mich war das wichtigste, daß ich auf jeden Fall die Nazis überlisten mußte. Daß ich meinen Verstand und meinen Willen gegen ihre Dummheit und ihren Amtskram einsetzen konnte.“

Stationen der Hilfe ab 1943

Mit Karin Morgenstern in Braunschweig sowie Hedwig Gerke und Meta Steinmann in Göttingen breitete sich das Hilfenetz des Bundes für Marianne im Herbst 1943 auf weitere Städte aus. In Essen zu bleiben, erschien aufgrund der zunehmenden Bombardierungen zu gefährlich. In Braunschweig und Göttingen nahmen die Bund-Mitglieder Marianne im Wechsel auf, um zu vermeiden, dass sie sich zu lange an einem Ort aufhielt. Auch in Düsseldorf, Remscheid, Wuppertal und Mühlheim konnte sie untergebracht werden. Häufiger Ortswechsel sollte die junge Frau, die ohne Papiere unterwegs war, vor der Enttarnung schützen.

 

Bei Karin Morgenstern in Braunschweig

Eine der ersten Stationen der Hilfe außerhalb ihrer Heimatstadt Essen war Braunschweig. In der folgenden Zeit kam Marianne zunächst bei Karin Morgenstern und ihrem Mann Karlos unter. Über das Leben von Karin Morgenstern ist nur wenig bekannt. Marianne erinnerte sich in einem Gespräch mit dem Historiker Mark Roseman, dass die beiden Ehepartner sehr unterschiedlich gewesen seien. Während Karlos aus dem Arbeitermilieu stammte, gehörte seine Frau Karin der „Oberschicht“ an – „sie paßten so wenig zusammen, und doch war es gut und funktionierte“. Beide waren Kommunisten, was sie wiederum vereinte.

Die Morgensterns leben am Stadtrand in einem Haus mit einem eigenen kleinen Garten: „Ihr kleiner Garten und die ländliche Umgebung ernährten uns, und wir gaben uns gegenseitig Hilfe und Stütze“, erinnerte sich Marianne. Die Bedingungen schienen nicht besser sein zu können, um Marianne unterzubringen, denn hier konnte sie sich relativ frei bewegen und sogar etwas arbeiten: Da sie in Handarbeiten begabt war, fertigte sie kleine Filzblumen an, die sie an einen Modeladen verkaufen konnte.

„Im Laufe der Zeit fand ich ein kleines Modegeschäft in Braunschweig, dessen Besitzerin meine Hauptabnehmerin wurde, da sie meine Arbeit hauptsächlich mit den mir so lebensnotwendigen Marken [Lebensmittelmarken] bezahlte. – Ich hatte immer den Verdacht, dass sie meine Lage halb erriet und helfen wollte.“

Auch verfügte Marianne noch über das Geld von ihrem Vater. So konnte sie sich, allerdings unter hohem Risiko, entdeckt zu werden, teilweise auch selbst versorgen.

 

Sommer und Herbst 1943 in Göttingen bei Hedwig Gerke und Meta Steinmann

Im Sommer und Herbst 1943 konnte Marianne bei Hedwig Gerke und Meta Steinmann unterkommen. Auch hier musste sie sich nicht permanent in einem Versteck aufhalten, sondern bewegte sich frei und lebte mit den Familien zusammen. Aufmerksames Planen war jedoch unerlässlich. Der Neugier und Irritation der Nachbarn begegnete man mit Ausreden.

 

Hedwig Gerke aus Göttingen

Hedwig Gerke

Hedwig Gerke (geb. Dietzel) war seit ihrer Jugend politisch aktiv, auch prägten sie ihre Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialdemokratischen Jugendbewegungen wie den Naturfreunden. Über die Naturfreunde fand sie schließlich auch Kontakt zum Bund. 1938 heiratete sie ihren Mann Gustav, von Beruf Tischler, und zog zu ihm nach Göttingen.

Als Marianne von Hedwig aufgenommen wurde, lebte sie mit ihrem ersten Kind und der Schwiegermutter. Ihr Ehemann Gustav war an der Front. Marianne brachte sich in das Familienleben ein, half im Haushalt und betreute das Kind. Die Nachbarn stellten keine Gefahr da, denn es wurden keine Fragen gestellt, was die Fremde ohne Arbeitsstelle bei den Gerkes macht. Die Gefahr lauerte woanders: Hedwig Gerkes Schwiegermutter war NS-Sympathisantin und litt unter cholerischen Ausbrüchen, sodass Hedwig verheimlichen musste, dass Marianne Jüdin ist und sich versteckt. Die Anwesenheit von Marianne vor der Schwiegermutter zu rechtfertigen wurde immer anstrengender und das Zusammenleben dadurch immer schwieriger. Die Spannungen wurden so groß, dass Marianne die Familie verlassen musste. Ein weiteres Mitglied des Bundes wohnte in Göttingen und willigte ein, die untergetauchte Jüdin bei sich aufzunehmen.

Hedwig Gerke

Hedwig Gerke (geb. Dietzel) war seit ihrer Jugend politisch aktiv, auch prägten sie ihre Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialdemokratischen Jugendbewegungen wie den Naturfreunden. Über die Naturfreunde fand sie schließlich auch Kontakt zum Bund. 1938 heiratete sie ihren Mann Gustav, von Beruf Tischler, und zog zu ihm nach Göttingen.

Als Marianne von Hedwig aufgenommen wurde, lebte sie mit ihrem ersten Kind und der Schwiegermutter. Ihr Ehemann Gustav war an der Front. Marianne brachte sich in das Familienleben ein, half im Haushalt und betreute das Kind. Die Nachbarn stellten keine Gefahr da, denn es wurden keine Fragen gestellt, was die Fremde ohne Arbeitsstelle bei den Gerkes macht. Die Gefahr lauerte woanders: Hedwig Gerkes Schwiegermutter war NS-Sympathisantin und litt unter cholerischen Ausbrüchen, sodass Hedwig verheimlichen musste, dass Marianne Jüdin ist und sich versteckt. Die Anwesenheit von Marianne vor der Schwiegermutter zu rechtfertigen wurde immer anstrengender und das Zusammenleben dadurch immer schwieriger. Die Spannungen wurden so groß, dass Marianne die Familie verlassen musste. Ein weiteres Mitglied des Bundes wohnte in Göttingen und willigte ein, die untergetauchte Jüdin bei sich aufzunehmen.

Meta und Ernst Steinmann mit ihren beiden Söhnen in ihre Göttinger Wohnung in der Breymannstraße
(c) Stadtarchiv Göttingen Sammlung 32 Tollmien

Meta Steinmann

Meta Steinmann (geb. Wahle) wurde in Göttingen zu einer wichtigen Bezugsperson und Vertrauten für Marianne. Im Jahr 1943 war die gebürtige Göttingerin 36 Jahre alt. Sie war in einer kinderreichen Familie im sozialdemokratischen Haushalt aufgewachsen und arbeitete selbst als Weißnäherin, d.h. Schneiderin für Weißwäsche. Wie Hedwig Gerke war auch Meta in den sozialdemokratischen Jugendbewegungen wie der Sozialistischen Arbeiterjugend und den Naturfreunden aktiv und verwaltete mit ihrem Mann für kurze Zeit sogar das Naturfreundehaus im Steinberg am Kaufunger Wald. Dort lernte sie später auch Hedwig Gerke kennen. Es war eine intensive Zeit, in der sich Ideale und Ziele für eine neue Gesellschaft entwickelten:

„Wir waren davon überzeugt, daß der Mensch gut ist. Daß schlechte Verhältnisse es sind, die ihn schlecht machen. Nun – diese Verhältnisse wollten wir ja unbedingt mit verbessern helfen. Das war unser Ideal und Ziel. […] Uns gab es ein starkes Gefühl, sich auf die Seite der Schwächsten zu stellen. Wir dachten nicht an uns bei unseren Idealen, wir sahen Humanität, Gerechtigkeit und Liebe zum Menschen als eine Aufgabe an.“

Mit ihren jugendlichen Erfahrungen von Gemeinschaft ist es nicht überraschend, dass Meta sich später von den Inhalten und Zielen des Bundes. Gemeinschaft für sozialistisches Leben angesprochen fühlte. Auch mit ihrem Mann verband sie nicht nur die Ehe, sondern auch gemeinsame Ideale, denen sie während der Hochzeitszeremonie feierlich versprach, treu zu bleiben. Sie bekamen zusammen vier Kinder, fanden jedoch trotzdem Zeit für politische Aktivitäten.

 

Nach 1933

Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde die Situation für die sozialdemokratische Bewegung immer schwieriger. Meta erinnerte sich nach dem Krieg:

„Alle Versammlungen, auch die der Gegner des Faschismus, wurden gefährlich. Regelrechte Schlägertruppen der SA zogen in die Versammlungen der Arbeiterparteien und lieferten sich wüste Saalschlachten.“

Auch für Metas sozialdemokratische Eltern begann eine schwierige Zeit. 1936 wurde ihr Vater verhaftet. Zwar wurde er nach vier Monaten aus der Haft entlassen, doch stand die Familie fortan unter Beobachtung der Gestapo. Auch in der Gruppe der Naturfreunde war Vorsicht geboten, denn neu aufgenommene Mitglieder wurden teilweise als Spitzel enttarnt. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden, wie viele andere Organisationen auch, die Naturfreunde aufgelöst. Dennoch traf sich Meta weiterhin mit vielen Mitgliedern, um sich über die besorgniserregenden politischen Entwicklungen auszutauschen. Sie beobachteten und analysierten. Es gab nicht viele Gleichgesinnte.

„Ein paar Worte, die ich mit einer Nachbarin aus unserem Wohnblock austauschen konnte, bei der ich die gleiche Gesinnung fand, waren schon wie ein kostbares Geschenk. Die Vereinsamung, die Verkümmerung im Mitmenschlichen, sich nicht mitteilen, nicht entfalten können, sind schlimme Folgen einer Diktatur!“ – wurde Meta in diesen Jahren schmerzlich bewusst.

Am Austausch in der Gruppe nahmen auch Hedwig Gerke und ihr Mann Karlos teil. Durch Karlos, der bereits dem Bund angehörte, kam Meta auch mit dessen Idealen in Berührung. Immer häufiger kommt die Frage auf: „Was können wir tun in dieser Zeit, die uns zur Untätigkeit verurteilt hat!“ Innerhalb der Familie hielt man sich durch das Abhören von ausländischen Sendern über die Kriegsentwicklungen auf dem Laufenden, obwohl das Hören von „Feindsendern“ verboten war.

 

Unterstützung für Marianne 1944

Trotz der ständigen Gefahr, denunziert zu werden, wurde Meta 1944 zur Helferin. Kurz nach dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 nahm sie Marianne bei sich auf. Welche Strategie hatte Meta, um keinen Verdacht in ihrem Umfeld zu wecken? Sie musste eine glaubwürdige Geschichte erfinden, von der sowohl ihre eigene Sicherheit als auch die von Marianne abhing. „Um ihre Anwesenheit in dieser Zeit, in der nicht gereist werden durfte, zu erklären, hatte ich bald eine Story erfunden: Ihr Haus in Essen war völlig zerbombt. Ihre Familie hatte sie dabei verloren. Weil sie dadurch nervlich völlig am Ende sei, dazu teilweise ganz verstört, habe sie vom Arzt eine Sondergenehmigung erhalten, um in völlig neuer Umgebung zu genesen.“

Welche Gefahren während Mariannes Aufenthalt lauerten, wurde deutlich, als sie mit Metas Sohn Ernst während eines Spaziergangs in eine Polizeikontrolle geriet. Mit Aufmerksamkeit und geschickten Rechtfertigungen gelang es Marianne, sich nicht ausweisen zu müssen. Meta erinnerte sich: „Ernst erzählte mir hinterher. Marianne hätte so lustig mit ihnen [der Polizeistreife] gelacht und geschäkert, daß sie ihren Dienstauftrag vergaßen, und die beiden konnten ohne Kontrolle ihrer Ausweise frei passieren.“ Es verlangte Mut und Stärke von Marianne, sich und Ernst auf diese Weise außer Gefahr zu bringen.

Meta Steinmann

Meta Steinmann (geb. Wahle) wurde in Göttingen zu einer wichtigen Bezugsperson und Vertrauten für Marianne. Im Jahr 1943 war die gebürtige Göttingerin 36 Jahre alt. Sie war in einer kinderreichen Familie im sozialdemokratischen Haushalt aufgewachsen und arbeitete selbst als Weißnäherin, d.h. Schneiderin für Weißwäsche. Wie Hedwig Gerke war auch Meta in den sozialdemokratischen Jugendbewegungen wie der Sozialistischen Arbeiterjugend und den Naturfreunden aktiv und verwaltete mit ihrem Mann für kurze Zeit sogar das Naturfreundehaus im Steinberg am Kaufunger Wald. Dort lernte sie später auch Hedwig Gerke kennen. Es war eine intensive Zeit, in der sich Ideale und Ziele für eine neue Gesellschaft entwickelten:

„Wir waren davon überzeugt, daß der Mensch gut ist. Daß schlechte Verhältnisse es sind, die ihn schlecht machen. Nun – diese Verhältnisse wollten wir ja unbedingt mit verbessern helfen. Das war unser Ideal und Ziel. […] Uns gab es ein starkes Gefühl, sich auf die Seite der Schwächsten zu stellen. Wir dachten nicht an uns bei unseren Idealen, wir sahen Humanität, Gerechtigkeit und Liebe zum Menschen als eine Aufgabe an.“

Mit ihren jugendlichen Erfahrungen von Gemeinschaft ist es nicht überraschend, dass Meta sich später von den Inhalten und Zielen des Bundes. Gemeinschaft für sozialistisches Leben angesprochen fühlte. Auch mit ihrem Mann verband sie nicht nur die Ehe, sondern auch gemeinsame Ideale, denen sie während der Hochzeitszeremonie feierlich versprach, treu zu bleiben. Sie bekamen zusammen vier Kinder, fanden jedoch trotzdem Zeit für politische Aktivitäten.

 

Nach 1933

Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde die Situation für die sozialdemokratische Bewegung immer schwieriger. Meta erinnerte sich nach dem Krieg:

„Alle Versammlungen, auch die der Gegner des Faschismus, wurden gefährlich. Regelrechte Schlägertruppen der SA zogen in die Versammlungen der Arbeiterparteien und lieferten sich wüste Saalschlachten.“

Auch für Metas sozialdemokratische Eltern begann eine schwierige Zeit. 1936 wurde ihr Vater verhaftet. Zwar wurde er nach vier Monaten aus der Haft entlassen, doch stand die Familie fortan unter Beobachtung der Gestapo. Auch in der Gruppe der Naturfreunde war Vorsicht geboten, denn neu aufgenommene Mitglieder wurden teilweise als Spitzel enttarnt. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden, wie viele andere Organisationen auch, die Naturfreunde aufgelöst. Dennoch traf sich Meta weiterhin mit vielen Mitgliedern, um sich über die besorgniserregenden politischen Entwicklungen auszutauschen. Sie beobachteten und analysierten. Es gab nicht viele Gleichgesinnte.

„Ein paar Worte, die ich mit einer Nachbarin aus unserem Wohnblock austauschen konnte, bei der ich die gleiche Gesinnung fand, waren schon wie ein kostbares Geschenk. Die Vereinsamung, die Verkümmerung im Mitmenschlichen, sich nicht mitteilen, nicht entfalten können, sind schlimme Folgen einer Diktatur!“ – wurde Meta in diesen Jahren schmerzlich bewusst.

Am Austausch in der Gruppe nahmen auch Hedwig Gerke und ihr Mann Karlos teil. Durch Karlos, der bereits dem Bund angehörte, kam Meta auch mit dessen Idealen in Berührung. Immer häufiger kommt die Frage auf: „Was können wir tun in dieser Zeit, die uns zur Untätigkeit verurteilt hat!“ Innerhalb der Familie hielt man sich durch das Abhören von ausländischen Sendern über die Kriegsentwicklungen auf dem Laufenden, obwohl das Hören von „Feindsendern“ verboten war.

 

Unterstützung für Marianne 1944

Trotz der ständigen Gefahr, denunziert zu werden, wurde Meta 1944 zur Helferin. Kurz nach dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 nahm sie Marianne bei sich auf. Welche Strategie hatte Meta, um keinen Verdacht in ihrem Umfeld zu wecken? Sie musste eine glaubwürdige Geschichte erfinden, von der sowohl ihre eigene Sicherheit als auch die von Marianne abhing. „Um ihre Anwesenheit in dieser Zeit, in der nicht gereist werden durfte, zu erklären, hatte ich bald eine Story erfunden: Ihr Haus in Essen war völlig zerbombt. Ihre Familie hatte sie dabei verloren. Weil sie dadurch nervlich völlig am Ende sei, dazu teilweise ganz verstört, habe sie vom Arzt eine Sondergenehmigung erhalten, um in völlig neuer Umgebung zu genesen.“

Welche Gefahren während Mariannes Aufenthalt lauerten, wurde deutlich, als sie mit Metas Sohn Ernst während eines Spaziergangs in eine Polizeikontrolle geriet. Mit Aufmerksamkeit und geschickten Rechtfertigungen gelang es Marianne, sich nicht ausweisen zu müssen. Meta erinnerte sich: „Ernst erzählte mir hinterher. Marianne hätte so lustig mit ihnen [der Polizeistreife] gelacht und geschäkert, daß sie ihren Dienstauftrag vergaßen, und die beiden konnten ohne Kontrolle ihrer Ausweise frei passieren.“ Es verlangte Mut und Stärke von Marianne, sich und Ernst auf diese Weise außer Gefahr zu bringen.

Marianne Strauß mit einem weiteren Kind aus dieser Zeit (Wolfgang Briel). Sie wird überall als "Tante" des Jungen vorgestellt.

Die Hilfe des Bundes beschränkte sich nicht nur auf verfolgte Jüdinnen und Juden, sondern erstreckte sich auch auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Auch Meta Steinmann versuchte, Hilfe zu leisten und beantragte darum die Hilfe einer Zwangsarbeiterin, die sie bei der Arbeit in ihrem Gemüsegarten unterstützen sollte. So kam Anna, eine ukrainische Zwangsarbeiterin, zu ihr ins Haus. Ein anderes Mitglied des Bundes, Elli Schlieper, stand als Dolmetscherin zur Verfügung und Anna wurde zum Dreh- und Angelpunkt eines Netzes, das Kleidung und andere Grundversorgungsmittel an Zwangsarbeiter im Lager verteilte. Leider wurden kurz darauf alle Zwangsarbeiter von den Privathaushalten abgezogen und in Fabriken eingesetzt, sodass Meta und Anna nur noch eingeschränkten Kontakt haben konnten. Kurz nach Ende des Krieges erschien Anna vor der Tür ihrer Wohltäterin mit Schinken und anderen Lebensmitteln, die die Zwangsarbeiter von einem Güterzug erbeutet hatten. Auch in den nächsten Jahren pflegte – nach Auskunft ihres Sohnes – Meta Kontakte zu den ehemaligen osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen.

Ein paar Wochen vor Kriegsende begab sich Meta in eine weitere Gefahr und versteckte ihren 16-jährigen Sohn, damit er nicht zurück an die Front musste. Auf Desertion stand damals die Todesstrafe.

Die Hilfe des Bundes beschränkte sich nicht nur auf verfolgte Jüdinnen und Juden, sondern erstreckte sich auch auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Auch Meta Steinmann versuchte, Hilfe zu leisten und beantragte darum die Hilfe einer Zwangsarbeiterin, die sie bei der Arbeit in ihrem Gemüsegarten unterstützen sollte. So kam Anna, eine ukrainische Zwangsarbeiterin, zu ihr ins Haus. Ein anderes Mitglied des Bundes, Elli Schlieper, stand als Dolmetscherin zur Verfügung und Anna wurde zum Dreh- und Angelpunkt eines Netzes, das Kleidung und andere Grundversorgungsmittel an Zwangsarbeiter im Lager verteilte. Leider wurden kurz darauf alle Zwangsarbeiter von den Privathaushalten abgezogen und in Fabriken eingesetzt, sodass Meta und Anna nur noch eingeschränkten Kontakt haben konnten. Kurz nach Ende des Krieges erschien Anna vor der Tür ihrer Wohltäterin mit Schinken und anderen Lebensmitteln, die die Zwangsarbeiter von einem Güterzug erbeutet hatten. Auch in den nächsten Jahren pflegte – nach Auskunft ihres Sohnes – Meta Kontakte zu den ehemaligen osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen.

Ein paar Wochen vor Kriegsende begab sich Meta in eine weitere Gefahr und versteckte ihren 16-jährigen Sohn, damit er nicht zurück an die Front musste. Auf Desertion stand damals die Todesstrafe.

Foto der Zwangsarbeiterin Anna Tereschkowna W. Sie trägt ein Kleid von Meta. Das "Ostabzeichen" wurde extra mit einer Blume verdeckt, um ein besonders schönes Bild zu erhalten.

Nach dem Krieg

Marianne Strauß überlebte den Krieg. Sie heiratete einen britischen Besatzungsoffizier und zog mit ihm nach Liverpool. Fast alle ihre Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet.

Meta Steinmann (später Meta Kamp-Steinmann) und Hedwig Gerke blieben auch nach dem Krieg weiter in der SPD aktiv. Meta Kamp-Steinmann war Vorsitzende der SPD-Frauengruppe und Ratsmitglied in Göttingen von 1956 bis 1964. Nach ihr wurde kürzlich in Göttingen eine Straße im Neubaugebiet Grünes Ebertal benannt. Auch Hedwig Gerke steht auf der Liste der möglichen weiteren Namensgeberinnen. Die Stadt Göttingen möchte mit diesen Straßennamen an die vielen politisch aktiven Frauen der Stadt erinnern, die sich in den letzten 100 Jahren für Gleichberechtigung und für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben.

Unmittelbar nach 1945 hoffte der Bund, allen voran die Führungsfigur Artur Jacobs, dass der Widerstand der Gruppe anerkannt und sie am Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung beteiligt würden. Ihr Status als Widerstandsgruppe und ihre Rolle als Rettungsorganisation wurde nicht anerkannt, obwohl die Gruppe ausführliche Berichte über ihre Aktionen veröffentlichte. 1960 wurde der Bund sogar beschuldigt, seine Verdienste übertrieben dargestellt zu haben. Artur Jacobs starb ohne jemals geehrt worden zu sein.

Erst 2004 wurden Karin Morgenstern, Hedwig Gerke und Meta Kamp-Steinmann von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Weitere Bund-Mitglieder, die Marianne unterstützt haben, sind: Sonja Schreiber, Sonja Ströter, Grete Morgenstern, Karin Gerke, Hedwig Briel, Fritz Briel, Maria Zenker, Gustav Zenker, Mathilde Schmitz, Änne Steinmann, Meta Busch und Emilie Ganzer.

Nach dem Krieg

Marianne Strauß überlebte den Krieg. Sie heiratete einen britischen Besatzungsoffizier und zog mit ihm nach Liverpool. Fast alle ihre Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet.

Meta Steinmann (später Meta Kamp-Steinmann) und Hedwig Gerke blieben auch nach dem Krieg weiter in der SPD aktiv. Meta Kamp-Steinmann war Vorsitzende der SPD-Frauengruppe und Ratsmitglied in Göttingen von 1956 bis 1964. Nach ihr wurde kürzlich in Göttingen eine Straße im Neubaugebiet Grünes Ebertal benannt. Auch Hedwig Gerke steht auf der Liste der möglichen weiteren Namensgeberinnen. Die Stadt Göttingen möchte mit diesen Straßennamen an die vielen politisch aktiven Frauen der Stadt erinnern, die sich in den letzten 100 Jahren für Gleichberechtigung und für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben.

Unmittelbar nach 1945 hoffte der Bund, allen voran die Führungsfigur Artur Jacobs, dass der Widerstand der Gruppe anerkannt und sie am Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung beteiligt würden. Ihr Status als Widerstandsgruppe und ihre Rolle als Rettungsorganisation wurde nicht anerkannt, obwohl die Gruppe ausführliche Berichte über ihre Aktionen veröffentlichte. 1960 wurde der Bund sogar beschuldigt, seine Verdienste übertrieben dargestellt zu haben. Artur Jacobs starb ohne jemals geehrt worden zu sein.

Erst 2004 wurden Karin Morgenstern, Hedwig Gerke und Meta Kamp-Steinmann von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Weitere Bund-Mitglieder, die Marianne unterstützt haben, sind: Sonja Schreiber, Sonja Ströter, Grete Morgenstern, Karin Gerke, Hedwig Briel, Fritz Briel, Maria Zenker, Gustav Zenker, Mathilde Schmitz, Änne Steinmann, Meta Busch und Emilie Ganzer.

Meta Kamp-Steinmann in späteren Jahren.
(c) Stadtarchiv Göttingen Sammlung 32 Tollmien

Quellen

Die Geschichte vom Hilfsnetzwerk „Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben“ ist inzwischen gut erforscht und recherchiert. Die wichtigsten Forschungsergebnisse hat Mark Roseman beigetragen. Roseman rekonstruierte umfangreich die einzelnen Hilfeleistungen dieser Gruppe und die Geschichte von Marianne Strauß-Ellenbogen, die er in seinem Buch „In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund“ veröffentlichte. Grundlage waren u.a. Auszüge aus ihrem persönlichen Tagebuch, die in Bruchstücken enthalten sind, sowie Interviews, die Roseman mit Marianne persönlich führte. Über die einzelnen Helferinnen und Helfer geben die Gerechten-Akten der Gedenkstätte Yad Vashem Aufschluss, in der u.a. ein persönlicher Bericht von Marianne Strauß-Ellenbogen enthalten ist. Durch einen Erlebnisbericht von Meta Kamp-Steinmann erfahren wir viel über ihre Erlebnisse als Gegnerin des Nationalsozialismus. Ein besonderer Dank geht an die Göttinger Historikerin Cordula Tollmien, die über Meta Kamp-Steinmann im Zusammenhang mit ihrer Unterstützung einer Zwangsarbeiterin geforscht hat, und uns ihr Material zur Verfügung gestellt hat.

Die Geschichte der Zwangsarbeiterin Anna Tereschkowna hat die Schwester von Meta 2002 detailliert aufgeschrieben. Man findet sie unter folgendem Link: http://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/erinnerungenannaukraine.htm (abgerufen am 02.09.2022).

Marianne Strauß ist für kurze Zeit auch beim Ehepaar Emil und Gertrud Moll in Beverstedt und bei Karin Morgenstern in Braunschweig untergekommen. Sie werden hier noch nicht genannt. Wir arbeiten daran, die Geschichte zu ergänzen. Wer helfen möchte, melde sich bitte unter stille.helden@nibis.de.

Fotolizenzen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/legalcode

Literaturempfehlungen

Mark Rosemann: ÜberLeben im Dritten Reich. Handlungsräume und Perspektiven von Juden und ihren Helfern. Göttingen 2020.

Mark Rosemann: "Du bist nicht ganz verlassen". Eine Geschichte von Rettung und Widerstand im Nationalsozialismus. München 2020.

https://www.youtube.com/watch?v=yOLISn68Zh8 (abgerufen am 02.09.2022).

Bearbeitungsvorschläge

Charakterisieren Sie die im Text beschriebene Organisation „Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben“. Stellen Sie heraus, wie die Hilfe für Verfolgte des NS-Systems konkret aussah.

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